Nun leuchtet schon forsythiengelb und blasslila-fliederweiß der Frühling und die Sonne wärmt die wintermüden Glieder. Doch muss ich in meinem Bericht noch einmal zurück in die Kälten des Winters, denn da schloss mein letzter Bericht. 

Der Februar kleidete sich in milchige Nebeldecken. Sie hingen schwer in den Tannen, deren Wipfel man kaum mehr erahnen konnte und nur an manchen Tagen riss die undurchdringliche Wand für wenige Sonnenstunden auf. Da fiel mir immer wieder die Liedzeile ein: 

„Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget, der weiße Nebel wunderbar“ 

Der Nebel machte alles verhalten. Manch Einer fühlt sich im Nebel einsam. Oft nieselte es unmerklich und wenn man von draußen ins Haus kam, war man durchnässt.

Es war seit  Ende Januar kein Schnee mehr gefallen und die Wiesen waren einigermaßen grün. Das liegt an dem Moos, welches hier so üppig ist, dass es sogar jeden Baum hinauf kriecht. Wunderschön sieht es aus, wenn die Stämme dicht und leuchtend grün im Wald stehen. Manche Bäume sind sogar bis in die Spitzen bemoost. Die Kinder sind entzückt, wenn sie so einen Baum entdecken, holen ihre Schleichtiere und bauen sich Spielstübchen im „Moosbaum“. Auch Efeu gedeiht prächtig und umschlingt wild und üppig ganze Waldflächen. So blicke ich aus meinem Küchenfenster auf einen immergrünen Wald, dessen Stämme mich mit ihren Moos,- Flechten-, und Efeugerank erfreuen.

Wenn ich also von Nebeldecken im Wald erzähle, stelle man sich weiße Schwaden im dichten Grün vor. Herrlich und zauberhaft.  Einerseits. Wenn nur das Andererseits nicht wäre. Denn diese verhangene Stimmung legte sich auch verhangen auf mein Gemüt und ich fühlte mich an manchen Tagen müde und auch entmutigt.

Ich sehnte mich nach Sonne und Wärme. Morgens kam ich nicht so früh aus dem Bett, wie ich es eigentlich gewollt hätte und abends kam ich viel zu spät zur Ruhe. Ich wollte noch was vom Abend haben, ganz für mich alleine und konnte mich nicht vom Tag verabschieden. Nach dem turbulenten Tag noch vor dem flackernden Kamin zu sitzen, bedeutete mir sehr viel. Doch morgens bei Nieselwetter, Dunkelheit und 5 ° im Haus aus den warmen Daunen steigen, im kalten Bad eine Waschung mit kaltem Wasser erwartend, das fiel mir äußerst schwer. 

Und wegen Müdigkeit fiel oft meine morgendliche „Stille Zeit“ aus. Manche nennen es Andacht, manche Meditation. Ich nenne es auch „Zeit mit Gott“, während der ich mit ihm rede, wie mit einem Freund und in der mir oft wichtige Dinge klar werden. In dieser halben Stunde werde ich still und tanke Kraft für den Tag. Und wenn diese Zeit ab und zu ausfiel, weil mich der Morgen viel zu spät im Bett noch fand, bemerkte ich ein dünneres Nervenkostüm während des Tages.

Ich freute mich auf den Frühling und die hellen Morgenstrahlen, wenn statt dem Wecker die Vögel mich aus dem Schlaf reißen würden und wenn ich nach dem inneren Auftanken durch den lichten Wald joggen würde. Und ich freute mich auf die Druckpumpe, die uns endlich warmes Duschen bescheren würde.

Freunde fragten mal, ob denn immer alles so traumhaft sei, wie es in meinen Berichten klänge, oder ob wir auch Enttäuschungen und schwierige Zeiten erleben würden. Und ob.

Ich fühlte mich, wie gesagt, in den letzten Wochen nicht ganz bei Stimmung. Mag sein, dass das die berühmte Talsohle der Kurve ist, die jedem Neuanfang innewohnt und man nach einer anfänglichen Hochstimmung merkt, ok, jetzt lässt die Euphorie nach und der Alltag zieht ein. Ich fürchte aber, von Alltagsroutine sind wir noch weit entfernt. Leider herrscht noch relatives Chaos. Ich sehne mich danach, dass eine gewisse Ordnung und Routine einkehrt und nicht jeder Tag und jede Aktion neue Überraschungen in sich birgt. Das hört sich z.B. so an: Nach unserer Winter-Auszeit in Deutschland, kam ich im Februar mit einer To-Do-Liste auf unserer Ferme an, die ungefähr 25 Punkte enthielt, u.a. Internetanschluss, Wasserdruckpumpe, Reparatur des Elektrozauns, Gaube fürs Schlafzimmer bauen, Werkstattbau, Gästehaus bauen, Heizung/Ofen für unser Haus,………… schön nach Prioritäten sortiert. Ich bestellte eine Menge Handwerker ein, um Kostenvoranschläge und Möglichkeiten zu erfahren. Das alles nahm recht viel Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch, die mir wiederum bei den Kindern fehlte. Die Heimschule, das gemeinsame Spielen, das Musikmachen, alles kam irgendwie zu kurz, mit dem Ergebnis, dass wir mit dem Schulstoff immer mehr hinterher hinkten und die Kinder wohl insgesamt das Gefühl hatten, dass sie jetzt mehr Zeit zum Streiten hätten. Was meine Laune nicht gerade hob. 

Zu der Zeit hütete ich außerdem ein kleines Mädchen aus der Schweiz, dessen Vater sehr schwer verunglückt ist. Für diese Familie, die nicht weit von uns in den Vogesen wohnt, hatte ich in den letzten Wochen viele Rundschreiben verfasst, um Spendengelder für eine dringende OP des Vaters zu sammeln. Die 5jährige Samira war also zeitweilig auch bei uns, was einerseits schön war, denn Simon und Hanna spielen gerne mit ihr, andererseits bedeutete es eine extra Aufgabe und zusätzliche Herausforderungen für mich. 

Um mit den Arbeiten am Haus einigermaßen voran zu kommen, bat ich um Hilfe aus Deutschland und bekam sie durch meinen Bruder und einen Freund, die für einige Tage kamen. Sie sägten Bäume, bereiteten das Terrain für das Gästehaus vor und waren einerseits eine riesige Hilfe, andererseits musste ich nun Arbeiten koordinieren, Fragen beantworten, Werkzeug suchen,… und Essen auf den Tisch stellen.

Ich hege einen tiefen Widerwillen gegen die Alltagskocherei und sie ist mir ein täglicher Akt der Pein und Selbstüberwindung. Einer Folter gleich erscheint mir der Gedanke: „Was soll ich heute kochen?“ und treibt mir Unmut in die Glieder. Viel lieber würde ich drei Tage ohne Pause unterrichten oder 5 Essays über die Balz der Nacktschnecke verfassen, als drei Mahlzeiten täglich auf den Tisch stellen zu müssen. Wer hat eigentlich entschieden, dass Mütter außer dem Kinderkriegen, -säugen, -wickeln und jahrelangem Popo wischen, Kinder-rumschleppen, -trösten, -in-den Schlaf-wiegen, -Nachts-füttern, -vorlesen, -zuhören, „MAMA!!!“,… auch noch kochen sollen? Ein Leben in der Kommune, das wär`s. Hat doch so einiges für sich. Jeder kann und darf gerade das machen, was er am liebsten und am besten macht. Dann hätte ich mich, was Küche betrifft, bestenfalls fürs schnippeln gemeldet. So eine Art Kommune hatte uns ursprünglich auch als Konzept für unser alternatives Leben hier vorgeschwebt. Einfach mit einer oder mehreren Familien gemeinsam den Ausstieg wagen. Aber andererseits muss man eine Familie finden, die diese Idee verwirklichen will und kann. 

Doch zurück zu dieser besonderen Woche, in der meine Nerven echt strapaziert wurden. Einige Handwerkerbesuche von franz. Firmen standen an, dann mein Besuch bei der „Mairie“, um beim Bürgermeister wegen einer Baugenehmigung für eine kleines Gästehaus und eine Werkstatt anzufragen.

Ja, ich war fühlte mich schon zu Beginn der Woche angespannt. Und dann passierte auch noch jeden Tag irgendein Missgeschick. Vermutlich deshalb. 

Frankreich und Service, das ist ein Widerspruch in sich. Jeder, der eine Weile dort gelebt hat, kann berichten, wie er hier nicht bedient wurde, dort nicht bekam, was er wollte, oder einfach nur abgekanzelt wurde. Als Ausländer hat man es dreimal schwerer und wenn man sich durch seine Sprache entlarvt, ist man ungefähr so gut dran, wie eine Schnecke, die im August auf dem Asphalt rumkriecht. Ich spreche zwar etwas französisch, jedoch mangelte es mir anfänglich an Spezialausdrücken wie „Gaube“ („Chien assis“ = „sitzender Hund“, da komme mal einer drauf!), „Dachneigung“, „Streifenfundament“, „Unterstand“….

Mein Besuch beim Bürgermeister endete damit, dass er mir äußerst übellaunig erklärte, dass mein Antrag für das Gästehaus nicht den Hauch einer Chance hätte, selbst der Bau einer einfachen kleinen Holzwerkstatt würde gemäß eines neuen Gesetzes nicht mehr genehmigt werden. Als ich ihm erklärte, dass die Holzwerkstatt nun wirklich sehr klein (20qm!) und außerdem als Erweiterungsbau an die bereits bestehende Scheune gedacht war, zog er den Katasterplan hervor und fragte: „Welche Scheune? Hier ist überhaupt keine Scheune eingetragen! Sie haben demnach ein nicht genehmigtes Bauwerk auf Ihrem Grundstück! Das gibt Probleme!“ Auch meine Erläuterungen, dass es sich dabei um ein sehr altes Gebäude handelt, beeindruckten ihn nicht. So zog ich meine Skizzen hervor, vielleicht würden ihn meine architektonischen Visionen von einer Mini-Holzwerkstatt milder stimmen. Aber seine Stirn wurde noch krauser: „Was ist das für ein Dach, was Sie da skizziert haben?“ „Ein Pultdach.“ „Das gibt es hier nicht. Haben Sie hier schon Scheunen mit solchen Dächern gesehen?“ „Ja, unsere alte Scheune, der Geräteschuppen und der Schuppen haben ein Pultdach.“ „Die gibt es gar nicht! Die darf es nicht geben! Habe ich Ihnen doch gerade erklärt! Diese Gebäude sind nicht existent!!! Außerdem ist Ihr Antrag sowieso unvollständig. Sie müssen erst diese Formulare hier ausfüllen. Und ändern Sie das Dach, damit kommen Sie nie durch.“ Also, was jetzt, dachte ich. Nicht existent? Die Gebäude stehen 4 km von seinem Büro auf sehr französischem Boden und er erklärt sie für nicht existent? Nicht den Hauch einer Chance und dann soll ich aber Formulare ausfüllen und die Skizze ändern? Verstehe das einer. Einerseits war es recht erfreulich und schürte meine Hoffnungen, andererseits war ich gerade darüber, dass ich neue Skizzen malen sollte, alles andere als erfreut. Den Rest des Nachmittages verbrachte ich damit, mein Hirn mit irgendwelchen  Zeichnungen zu martern.

Der nächste Tag begann damit, dass meine Tochter mit Fieber, Kopfschmerzen und Erbrechen aufwachte und kurz darauf unser kleines Besuchermädchen die Küche unter Wasser setzte, indem es einfach vergaß, den Wasserhahn abzudrehen. Als ich es vom Wohnzimmer aus plätschern hörte, war es zu spät. Das Wasser hatte die halbe Küche und den ganzen Holzstapel erreicht. Am Vortag hatte ich viel gearbeitet, um den Holzbestand in der Küche neu aufzufüllen und nun war alles schön durchnässt. Hungrige Arbeiter, die ich bekochen musste, ein krankes Kind, eine ersoffene Küche, keine Aussicht auf irgendeinen Erfolg – ich war dem Heulen nahe.

Meine Laune erreichte aber erst ihren Tiefpunkt, als später am selben Tag der Techniker erschien, der unsere Satellitenschüssel anbringen und endlich für einen Internetanschluss sorgen sollte. Das Thema „Internet“ stellte sich dann in den folgenden Wochen als „Trauerspiel in 9 Akten“ heraus.

Akt I:  Das Trauerspiel beginnt im Oktober 2010: ich stelle Antrag bei „Nordnet“ auf eine Satellitenschüssel und Internetzugang; der Antrag kommt 2x zurück, das erste Mal fehlt ein Papierschnipsel („RIB“), das zweite Mal habe ich zu wenig frankiert

Akt II:Im Dezember kommt die Schüssel (riesig!! Oje, wie wird das aussehen an unserem schönen alten Knusperhäuschen?)

Ich rufe verschiedene Installateure an, keiner möchte im Winter auf den Berg rauf kommen. Aber ich will meine Schüssel montiert haben!

Akt III: Februar 2011: endlich ein Installateur; er ist höchstens 20 J. alt und hat offensichtlich Pfeffer und etwas zuviel Adrenalin, jedenfalls rast er mit Karacho an unserem Waldparkplatz vorbei, saust um die Ecke unseres Hauses den Hang hinunter… mitten hinein in knietiefeSchneematsche, die auf unserem Rasen liegt. Na dann! Ich verdränge vorerst die Frage, wie er da wohl wieder rauskommt und freue mich einfach nur, dass er DA ist! Nach einem „Olàlà, Sie wohnen hier aber abgelegen!“ schreitet er gutgelaunt zur Tat. Ich kenne mich ja mit solchen Installationen gar nicht aus, aber ich frage mich, warum er mich nichts fragt. Ungefragt sage ich ihm also, dass wir diese Schüssel auf dieses Dach haben möchten und zwar genau an dieser Stelle. Einverstanden.

Nun stehe ich natürlich nicht neben ihm im Schnee und schaue frierend zu, sondern gehe ins Haus und hoffe das Beste. Nach einer halben Stunde schaue ich nach und da prangt die Schüssel an der Front des Hauses, die zum Garten hin zeigt, genau zwischen zwei  Fenstern. Na Prost! Monsieur, so geht es GAR nicht! Alles wieder runter. „Excusez, Madame!“ Und nun kommt sie wirklich aufs Dach. Und dann werkelt er und werkelt…. Nach acht Stunden, also es wird schon wieder dunkel, da sagt er mir, dass er kein Signal empfangen könne. Die Schüssel ziert nun unseren Schornstein, aber es hilft wohl nichts, die Tannen auf dem Grundstück seien zu hoch, wir müssten sie fällen. Erst dann mache es Sinn, dass er wiederkommt. Spricht`s und steigt ins Auto. Natürlich kommt er keinen Millimeter von der Stelle, die Kinder und ich schieben aus Leibeskräften und die Reifen graben unseren Rasen um. Nichts geht: vor-zurück-vor-zurück. Wieviel richtet ein Frau und zwei Kinder gegen einen Lieferwagen aus, wenn der Untergrund die reinste Schneematsche ist, die Reifen zur Hälfte im Schlamm stecken und es bergauf geht? Stunden später und mit vielen Hilfsmitteln (Bretter, Sägespäne, Sand…) haben wir`s irgendwann geschafft, schweißgebadet, schlammverkrustet bis unter die Haarwurzeln. Unser Rasen ist stellenweise hinüber, da wächst kein Gräschen mehr…

Ich habe eine schlaflose Nacht wegen seiner Diagnose: die schönen Tannen fällen? Und das kann Wochen dauern. Einerseits klingt es irgendwie einleuchtend, andererseits: weg ist weg und wer garantiert, dass dann ein Signal zu empfangen ist?

Akt IV: Am nächsten Morgen erscheint er mit seinem Chef. Und parkt dieses Mal ganz brav auf unserem Parkplatz! Nach einer halben Stunde habe ich plötzlich ein Signal, oh Wunder! Der Chef geht und mit ihm das Signal.  

Ich halte es für eine Farce, bitte ihn, seinen Chef doch anzurufen. Der sagt dann, es habe wohl am Wetter gelegen, wenn die Sonne scheine, würde man ein Signal bekommen, wenn aber eine Wolke davor sei, sei es schwierig. Und jetzt sei gerade ein wolkiger Himmel. Wie bitte?

Also doch nicht die Tannen??? Sondern die Wolken? JA doch die Tannen. Der junge Installateur verspricht bei schönem Wetter wieder zu kommen und mir genau die Tannen zu zeigen, die stören.

Akt V: Ich lasse einen Baumfäller kommen, um mich grundsätzlich zu beraten. Er sagt, er kann als Erstmaßnahme zunächst die Spitzen abnehmen, aber von welchen der hundert Tannen? Ich warte auf den Installateur, er wollte mir ja die Tannen zeigen. Es vergeht eine Woche mit trockenem, klarem Wetter, er taucht nicht auf und ist nicht zu erreichen. Und mir reicht es, ich brauche dringend eine zweite Meinung. Ich rufe einen anderen Installationsdienst an und vereinbare einen Termin für den nächsten Tag.

Akt VI: Am nächsten Tag erscheint der alternative Dienst der Termin nicht, dafür kommt unerwartet wieder der erste Installateur mit seinem Chef. Nach 4-stündiger Beratung verkündet der Chef, es liege nun doch nicht an den Tannen, nein, es sei die Esche vor der Terrasse, ganz bestimmt. Es ist bewölkt und etwas neblig, ich frage, woher er denn so sicher sei, dass es diesmal nicht die Wolken sind? Nein, er sei sich diesmal sicher. Nun denn….

Ich rufe ich gleich den Baumfäller an, er soll am nächsten Tag die Esche fällen. Er sagt mir zu. Da nehme ich wahr, dass die Kinder entsetzt meinen Anruf wahrgenommen haben. Ob ich noch recht bei Trost sei, die schöne Esche, ob ich denn auchPapa gefragt habe. Nein, hatte ich nicht. Richard ist entsetzt, auf keinen Fall die schöne, alte Esche fällen. Mir schwimmen alle Felle davon, schon sah ich greifbar nahe, das Internet vor mir. JA, was denn nun???

Akt VII: Der Baumfäller erscheint wie verabredet. Ich erkläre ihm den Zwist, er sagt, kein Problem, er schneidet eine Schneise, es wird reichen. Im Nu ist er auf dem Baum (hoch!!!) und schmeißt die an seinem Bauch baumelnde Kettensäge an. Bevor ich tief durchatmen kann, kracht ein Ast und dann der nächste. „Fini!“ Das wars. So einfach? Fast wäre ich ihm vor Glück um den Hals gefallen, aber zum Glück hatte er noch die Kettensäge um. Das soll alles gewesen sein, damit wir Internet haben?

Akt VIII: Es vergehen einige Wochen, dann erscheint der Installateur wieder, die Sonne scheint und das Signal ist gnädig. Er werkelt wieder stundenlang und dann, nach sechs Stunden ist es da! Ich glaub es kaum. Er packt sein Zeug und steigt ins Auto: „Ihr Computer verbindet sich jetzt mit dem Signal, dann können Sie sich bei Nordnet registrieren.“ Ich sehe ihn aus der Parklücke fahren, renne zurück ins Haus, zum Bildschirm und lese: „Keine Verbindung zum Internet“ Dann wieder raus und hinter ihm her: „Halt, bleiben Sie da! Da ist keine Verbindung! Sie können nicht wegfahren!“ Er hält an, steigt aus und seufzt genervt (was richtet man schon aus, gegen soviel weibliche Impertinenz?) und verbringt weitere Stunden auf dem Dach, um die Schüssel exakter auszurichten. Dann telefoniert er 19x mit Nordnet, tippt irgendwelche Zahlen in meinen Computer und geht dann endgültig mit den Worten: „So, jetzt lädt er noch ca. 15 Min. dann können Sie sich ins Netz einloggen.“ Und weg ist er. Ich warte bis tief in die Nacht und kann mich überhaupt nicht ins Netz einloggen. Am nächsten Morgen müssen wir dringend für ein paar Tage nach Deutschland entfliehen, sonst platze ich.

Akt IX: Ich kehre aus Deutschland zurück, schmeiße meinen Computer und das Modem an und – habe Internet!!! Versteh das einer….

Stur wie ich bin, beflügelte mich nun der Gedanke, den Kampf mit unserem erstaunlichen Bürgermeister aufzunehmen und so stellte ich mich am nächsten Tag mit neuen Skizzen ein: 

1.) Für einen 20 qm Holzschuppen mit Spitzdach(!) (unsere zukünftige Werkstatt) und  

2.) Für eine kleine Gaube am Haus, 4 qm. Das geplante Gästehaus stellte ich gar nicht vor, denn ich hatte beschlossen, dieses, irgendwann nach gegebener Zeit klammheimlich und ohne Genehmigung mitten in unsern Wald zu setzen! 

Da war ich also nun zum zweiten Mal mit neuen Hoffnungen. Die Sekretärin tat erstaunt: „Und wo sind die Fotos?“ „Welche Fotos?“ „Ach, dann habe ich wohl vergessen, Ihnen zu sagen, dass wir Fotos brauchen! Die Skizzen kleben Sie dann so in die Fotos, dass man erkennen kann, wo das neue Gebäude stehen soll! Selbstverständlich müssen Sie dann den Maßstab der Skizzen ändern.“ Na prima, ich erfuhr jedes Mal etwas Neues, scheibchenweise und sozusagen „en passant“ bekam ich die nötigen Informationen. Fotos, nun ja, nichts leichter als das: in Frankreich digital geschossen, durch einen persönlichen Kurier in Deutschland ausgedruckt und wieder durch Kurier nach Frankreich gebracht. Dann noch mal eine Nachtschicht eingelegt, um neue Skizzen zu zeichnen, denn sie sollen nach den neuesten Informationen ja nun in die Fotos geklebtsein. Doch dann kam der nächste Tag und mit ihm eine unerwartete Wendung. 

Nun schlage ich den Bogen zum Beginn dieses Rundbriefs, wo ich von einer besonders anstrengenden Woche berichtete. Es war der Freitag dieser entsetzlichen Woche und ich war gerade beim Hausputz und in wenigen Stunden sollte der Sabbat, unser Ruhetag, beginnen. Da kam der Schreiner aus dem Ort, den ich um ein Angebot für die Gaube gebeten hatte, und er hatte wohl noch ein bisschen Zeit mitgebracht, denn er fragte, ob er reinkommen dürfe. Im Gespräch erwähnte ich unseren Vorhaben, vom Bau eines Gästehauses und einer Werkstatt und er sagte: “Oh, unser Bürgermeister ist total unfähig. Gehen Sie am besten gleich zu dem zuständigen Bauamt in der nächsten Stadt und fragen Sie dort, wie Sie vorgehen sollen.“ Er nannte mir den Namen des Amtes und außerdem noch jemanden, der die Tannen für unsere Satellitenschüssel fällen konnte. Oh, danach ging`s mir richtig gut. Ich hatte das Gefühl, das war jetzt eine Sabbatüberraschung von unserem lieben Gott, extra für mich.

Am nächsten Montag rief ich beim besagten Bauamt in Lure an und ließ mir einen Termin geben. Bewaffnet mit Fotos, die wie gesagt per Kurier übers Wochenende aus Deutschland gekommen waren und neuen gezeichneten, eingeklebten (!) Skizzen und zwei jeweils 18-seitigen Anträgen (auf Bau einer Werkstatt und einer Gaube), begab ich mich am nächsten Tag zum Amt in der nächsten größeren Stadt Lure. 

Man stelle sich ein miefiges, düsteres Zimmer vor, in welchem eine verschwenderisch parfümierte Dame mit bunten Fingernägeln und großer schwarzer Brille, auf eine Tastatur einhackt und an einem weiteren Tisch ein grämlich blickender Mann mit feuchter Glatze einen unendlich traurigen Blick auf den Eindringling wirft, um gleich darauf resigniert seufzend zu fragen: „Was kann ich für Sie tun?“ Einem inneren Impuls folgend, hatte ich meine Kinder mitgenommen, sie wurden meine Rettung. Während der ganzen Audienz huschte nur ein einziges Mal ein müdes Lächeln über die Augen dieses Menschen, und zwar als Simon und Hanna sich in Ermangelung einer Sitzgelegenheit vor seinem Schreibtisch in die Hocke gingen, und ihre Gesichter an die Tischkanten pressten, sodass nur noch ihre Nasen, Backen und Augen zu sehen waren. Dann rollten sie mit den Augen hin und her, es war zum Brüllen.

Er sah sich meine Anträge Seite um Seite an, seufzte immer wieder tief auf und Hanna starrte wie gebannt auf seine geschundenen roten Hände und die gelben rissigen Fingernägel.  Offensichtlich litt der arme Mann an einem starken Fingernagelpilz. Wie er so langsam und gemächlich die Anträge Blatt für Blatt wendete und durchbuchstabierte, brodelte es in mir und ich kam mir vor wie eine Bettlerin, die auf Gnade hofft. Seine Erlaucht seufzte denn ein letztes Mal und sah mich mit leerem Blick an. „Ich sehe da keine Probleme,“ sagte er dann kummervoll. Nun fühlte ich mich wie Eine, die ihn trösten musste. So in etwa: „Wie, Sie sehen keine Probleme? Das tut aber leid für Sie!“ Ich wagte keinesfalls, meiner inneren Freude Ausdruck zu verleihen, etwa durch ein lautes „Gott sei Dank!“, sondern bemühte mich um eine gleichmütige Haltung, was mir scheinbar nur mäßig gelang, denn er fügte sofort hinzu: „Aber dieser Antrag taugt nichts. Was sollen diese eingeklebten Skizzen? Völlig unbrauchbar. Die Skizzen müssen maßstabsgetreu, millimetergenau und absolut richtig sein! Und bitte nicht mehr einkleben! Wir brauchen jeweils einen Fassadenplan, eine Seitenansicht, einen Grundriss und eine Vorderansicht.“ „Also, Monsieur……Architektin bin ich nun nicht. Und außerdem wurde mir vom Bürgermeister aufgetragen, die Skizzen einzukleben!“ „Völlig falsch. Sie müssen andere Skizzen fertigen. Was soll dieses Spitzdach? Die Fotos zeigen doch die alte Scheune mit Pultdach. Wieso haben Sie kein Pultdach vorgesehen? Also, alles noch mal bitte, aber richtig.“ Ein letzter resignierter Seufzer und eine leichte Kopfbewegung zur Tür. Ich hatte verstanden.

Noch eine Nachtschicht mit Skizzenzeichnen, während der ich darüber sinnierte, ob Frankreichs Bürokratie deshalb so sagenhaft miserabel funktioniert, weil der Schwanz nicht weiß, was der Kopf tut und umgekehrt? Und noch eine Nachtschicht. Ich verzweifelte an der Gaube. (Schon mal als Laie versucht, eine Spitzgaube in Vorderansicht und Seitenansicht maßstabsgetreu zu zeichnen?) Wie ich es auch drehte und rumprobierte, es sah immer falsch aus. Nun, ich habe nicht die geringste Ahnung von der Kunst des perspektivischen Zeichnens, aber ich versuchte, meine Ahnungslosigkeit so gut es ging, zu verbergen. 

Es ist mir wohl nicht gelungen, denn einige Tage später besuchte mich eine Freundin und lächelte über meine Skizzen: „Na, da stimmt aber was nicht!“ Oje, da hatte ich aber alles schon eingereicht. 

Das Prozedere nahm seinen Lauf: ich musste alles beim hiesigen Bürgermeister einreichen, um den kam ich nicht rum. Ich rüstete mich, marschierte in sein Büro udn verkündete, dass ich die fertigen Anträge hier habe. Fassungslos starrte er den Antrag an und bevor er sich noch vom Schreck erholen konnte, dass ich offensichtlich impertinent genug gewesen war, um mit meinem Anliegen gleich zum Bauamt zu rennen, war ich flugs wieder draußen, ohne auf seine Kanonade zu warten. Da 4 Wochen kein schriftlicher Widerspruch kam, bedeutet das, dass wir mit dem Bau loslegen können. Gott sei Dank! 

Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert, dankbar und unsagbar entspannt ich mich jetzt fühle. Einerseits…. denn meine To-Do-Liste ist um einen großen Punkt mit drei Ausrufezeichen geschrumpft. Andererseits: ob alles gut geht? Heute war ein Schreiner da, der wird in den nächsten Wochen das Atelier bauen und voraussichtlich wird im Mai von meinem Vater und meinem Onkel die Gaube gebaut. Dann hat Simon endlich ein Zimmer, in dem er aufrecht stehen kann……

Noch eine kurze Erfahrung zum Schluss. So ziemlich alle Besucher stellen stets eine Frage: „Hast du denn keine Angst, so alleine hier im Wald?“ Es gab eine Zeit, als mir manchmal mulmig wurde, abends im Bett, die Kinder schlafend nebenan und ich hörte Geräusche im und ums Haus, da meinte ich, die Treppe knarzt, das Schloss knackt, ein Auto kommt…… irgendwelche gespenstischen Gedanken schlichen sich ein, denn es kamen tagsüber ständig Handwerker aus der Umgebung, die staunten alle, ach, hier steht ja ein Haus, das wussten wir gar nicht, soso, und Sie sind alleine hier?….. was wäre, wenn irgendjemand meint, uns Nachts besuchen zu müssen, oder eine jugendliche Gang sich einen bösen Scherz erlaubt…. ich stellte abends die größten Gummistiefel (vom Vorbesitzer: Gr. 46) vor die Tür und hängte eine riesige Männerjacke Gr. 60 an den Haken draußen. Dann wurde auch noch bei Freunden von uns, die einige km weiter wohnen, eingebrochen, während sie im Haus schliefen…. So war ich zunehmend beunruhigt und überlegte, ob und wie ich das Haus sicherer machen könnte. Als ich eines Abends im Bett lag, dachte ich, im Moment kann ich nur beten, das Haus ist wie es ist. Ich betete und hatte in dieser Nacht einen Traum, der alles veränderte: ich sah unser Haus und darüber im schwarzen Nachthimmel, zwei helle große Engel, die ihre Flügel über die ganze Lichtung ausbreiteten. Ein schönes Bild! Ich erwachte am Morgen und sah in den sonnigen Himmel und wusste, ER wacht über uns, so wie es in den Psalmen steht: „Alle, die dem Herrn angehören, umgibt sein Engel mit mächtigem Schutz und bringt sie in Sicherheit.“ (Psalm, 34,8) Wenn wir Gott vertrauen, erleben wir seinen mächtigen Schutz, das weiß ich jetzt ganz sicher. 

Was als Trauerspiel begann endete unerwartet im Ethernet.

Noch ein dicker To-Do-Punkt weg!

Unsere Druckpumpe wurde vor einigen Tagen fertig installiert, wir können jetzt auch duschen und sogar eine Waschmaschine anschließen, was ich aber nicht vorhabe. Ich werde ganz gerührt angesichts solchen Luxus. Ich fühle mich richtig beschwingt. Einerseits…… denn andererseits gibt es noch 22 Punkte auf meiner To-do-Liste….

Alles Liebe,

Eva