Es ist nun Mitte Juli und ich kann kaum glauben, dass ich in eine Wolldecke gehüllt, mit heißem Tee frierend im Wohnzimmer sitze und gerade eben den Ofen anfeuern musste…. das Thermometer zeigt draußen 11° C …. Das Wetter hat uns allen in diesem Frühjahr einen Streich gespielt, im April den Sommer vorgegaukelt, dann die Eisheiligen in den Juli verlegt und nun folgt der Herbst… oder wie?

Jedenfalls kann ich für uns und für euch alle, die ihr euch auf die Sommerferien freut, nur hoffen, dass die Sonne und die Wärme noch mal richtig wiederkehren.

Wir versuchen uns mit dem wechselhaften Wetter zu arrangieren und flitzen in den Wald, sobald es nicht mehr ganz so strömt, zum Pilze sammeln. Die gibt es hier in Hülle und Fülle und ich wünschte, ich hätte mich schon etwas früher für dieses Spezies interessiert, denn nun stehe ich förmlich wie der Ochs vor dem Pilz und lasse mir von den Kindern erklären, was welcher ist. Hier in unserem uralten Steinhäuschen war eine wahre Fundgrube an Büchern, vor allen Dingen Pflanzen,- und Pilzbüchern zurückgeblieben, wohl weil der vorige Besitzer geahnt hat, dass wir das nötig haben würden. Nach unserem Einzug begannen Simon und Hanna alle Bücher zu verschlingen und studierten die Abbildungen. Ich nicht… tja und nun muss ich mir erklären lassen, was Täublinge, Trichterlinge, Milchlinge, Röhrlinge, etc. etc. sind. Körbeweise schleppen wir die herrlich duftenden Schätze nach Hause und sind dabei eigentlich nur nach den Empfehlungen in den Büchern gegangen. Ich fühle mich nicht wirklich sicher, wir suchen also zusätzlich die Nachbarn auf, die erfahrene Pilzsammler sind. Sie helfen uns dabei, noch genauere Unterscheidungen zu treffen, nämlich zwischen „Delikatessen“ und „essbar“ und dann marschieren wir heimwärts, heute war es bereits nach acht und uns läuft schon das Wasser im Munde zusammen. 

Simon geht mit Feuereifer ans Werk, er knuspert eine ganze Ladung in der Pfanne mit Olivenöl an, Hanna bringt frische Kräuter und ruft immerzu: „Hmm, wir köstlich!! Riech doch mal, wie herrlich!“ Unsere Esslust steigert sich mit den angenehmen Düften ins Unermessliche und wir versammeln uns mit hochroten Wangen am Esstisch. In der Pfanne befinden sich lauter Täublinge: Violettgrüner Täubling, Grüngefelderter Täubling, Wieseltäubling und Purpurtäubling. Und dann noch einer, den ich nicht finden konnte in dem Buch „Essbare Pilze und ihre giftigen Doppelgänger“, von dem aber unsere Nachbarin überzeugt erklärte, er sei die beste Delikatesse, die man hier finden könne. Er sieht aus wie ein Maronenröhrling, ist aber kein Röhrling, sondern hat Lamellen.  

Wir sitzen also am Tisch, die Pfanne mit den Pilzen dampft und wir stechen schon mal ungeduldig einfach zum Probieren mit den Gabeln in die bunte Pracht. Ich kaue und genieße den ersten Bissen, Hanna ergießt sich in „Ah`s“ und „Oh`s“ und Simon sticht in den besonderen namenlosen Delikatess-Pilz. Während ich mir stets das Beste zum Schluss gönne, beginnt Simon immer mit dem Besten. Kaum ist die „Delikatesse“ in seinem Mund verschwunden, schreit er laut auf, spuckt auf den Teller und rast zum Wasserhahn. „Es brennt, es brennt!“ schreit er und springt auf und nieder. Seine Zunge ist feuerrot und er spuckt und spuckt. Entsetzt und bleich stehen Hanna und ich hilflos daneben, während er einen wahren Veitstanz aufführt. „Nun hab ich mein Kind vergiftet,“ denke ich entsetzt, und flöße ihm literweise Wasser ein. Doch nach ein paar Minuten geht es wieder und ich beobachte ihn den Rest des Abends. Kuriert von unserem Heißhunger auf Pilze, schütten Hanna und ich die ganze Pracht in den Abfalleimer. Wenn ein ungenießbarer Pilz in der Pfanne mitgeschmort hat, kann man das Andere auch nicht mehr genießen, denke ich mal. Simon erholt sich langsam, er sagte, es habe wie Feuer gebrannt. 

Ich lese, dass kein guter Pilz so scharf sein darf. Wer weiß, vielleicht vertragen die Franzosen einiges mehr als wir? Wir essen dann doch wieder unser Standardabendessen: Brot mit Erdnussbutter. Ich stehe nachts mind. 5x auf, um zu sehen, ob Simon noch atmet. Und er erzählt am Morgen von einem Traum, in dem lauter Riesenpilze vorkamen.

Ich beschließe, bei nächster Gelegenheit einen Pilzkurs zu belegen. DAS hätte ich früher nie von mir gedacht!!

Als ich in meiner Schulzeit (7. Klasse?) das Thema mal vorgesetzt bekam, bzw. als es im Bio-unterricht flüchtig gestreift wurde, hatte ich mich leider so gelangweilt, dass ich unter dem Tisch eine Karikatur unseres Bio-Lehrer als Pilzkopf anfertigte. Er merkte etwas, trat an meinen Tisch und sagte: „Tja, Eva, dann können wir mal nur hoffen, dass dir dein mangelhaftes Interesse an Pilzen nicht irgendwann zum Verhängnis wird!“ Er hätte sich heute Abend totgelacht.

„Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“ (Seneca)

Das Schuljahr neigt sich seinem Ende und bald jährt sich unser Ausstieg aus dem deutschen Schulsystem. Zeit für eine kleine Bilanz.

Es war ein gutes Jahr und ich habe alles daran genossen, bis auf die (eigentlich recht kleinen) Bauprojekte. Die trieben und treiben mich immer noch in den blanken Wahnsinn und ich frage mich langsam, ob ich wirklich Internet, fließend warmes Wasser, Zimmer mit Steh-Höhe, eine Mini-Werkstatt und eine kleine Unterkunft für Gäste brauche bzw. gebraucht habe. Bagger, Lärm, Matsche, Gestank, ein Gerüst vor jedem Fenster, überall rum-wuselnde Arbeiter, die ständig irgendwas fragen, Zigarettenkippen überall und warten, warten, warten…. auf Arbeiter, auf Material, auf Liefertermine, auf Rückrufe, auf Zusagen, auf Absagen, auf Termine, auf Rechnungen…. freudiges, bangendes, ungeduldiges, hoffendes, nervöses, geduldiges, ärgerliches Warten.Und kein Ende in Sicht.

Da fällt mir folgender Witz ein: Pessimist: „Schlimmer geht`s nicht.“ Optimist: „Doch!“

Naja, genug davon, es geht voran. Immerhin, die Werkstatt steht schon halb, das Fundament für das Gästehaus ist auch schon halb fertig und –  die Gaube für Simons Zimmer ist (Hurra!) ganz fertig!

Die Beschaffung des nötigen Holzes für das Gästehaus glich einem „never ending“-Krimi. Als ich erfuhr, dass Douglasie benötigt wird (23 Kubik!) telefonierte ich ca. 10 Sägewerke ab, um den günstigsten Preis zu erfragen. Alles viel zu teuer. 

Ich kam auf die Idee, einen Holzfäller zu beauftragen, frische Holzstämme ans Sägewerk zu liefern, welches daraus die erforderlichen Maße sägt. Da stellte sich raus, dass etwa eine doppelte Menge an Holz angeliefert und gesägt werden muss, um die erforderliche Menge Schnittholz zu bekommen. Bedeutet, ich muss die doppelte Menge dem Holzfäller und dem Sägewerk bezahlen. Bekomme nachher auch die doppelte Menge Holz, klingt gut, aber wo bitte, soll ich 20 Kubik Restholz lagern? Ist außerdem keinesfalls günstiger.

Da begann es richtig interessant zu werden: Hanna guckte eines Tages gedankenverloren aus dem Zirkuswagen in unseren eigenen kleinen Wald und sagte: „Mama, wir haben hier doch so viele Douglasien, warum sollen wir welche kaufen?“ Ich sah vor lauter Bäumen die Douglasien nicht: „Wo?“ „Ja, da und da, das sind doch alles Douglasien.“ Ich musste zugeben, ich hatte nicht die geringste Ahnung, ob ich auf Tannen, Fichten, Douglasien oder sonst was blickte. Aber meine kleine Tochter hatte Ahnung. Ich ließ einen Förster kommen und er bestätigte es: wir haben tatsächlich einen kleinen Douglasienwald.

Um es kurz zu machen: unsere Bäume stehen noch und wir haben uns dafür entschieden, alles direkt vom Sägewerk zu kaufen. Ist besser so. Denn Hanna liebt unseren Wald und der soll noch eine Weile bleiben.

Wir werden immer wieder gefragt, warumwir eigentlich nicht ganz normal in die Schule gehen, sondern Heimschule machen und „das alles“ auf uns nehmen. Müsste die Frage nicht anders lauten? Wieso nehmen Familien Schule auf sich?

Trotz enormem Aufwand, einigen Rückschlägen und manchen Schwierigkeiten empfinde ich kein Bedauern oder Selbstmitleid auf unserem Weg. Ganz im Gegenteil, so entspannt, erfüllt, glücklich und voller Tatendrang wie in diesem letzten Jahr, habe ich mich selten gefühlt. Und ich habe das auch bei den Kindern beobachtet.

Nein, leid tut uns gar nichts, wir alle würden es genauso wieder machen. Auch Simon und Hanna sind vollständig angekommen, sie lieben es hier ohne Wenn und Aber und haben mich mit ihrer gewachsenen Resilienz mehr als einmal erstaunt. Habe ich sie vor unserem Wegzug manchmal als fordernd, unzufrieden und quengelnd empfunden, so habe ich das hier noch nie erlebt. Ich kann es selbst kaum glauben, aber hier habe ich noch nie gehört: „Mir ist langweilig.“ Dafür bin ich unendlich dankbar, denn ehrlich gesagt, hatte ich genau davor die größte Angst. Wir genießen wirklich jeden Tag als Geschenk, wachen gutgelaunt auf und gehen abends müde, aber erfüllt schlafen. Ich bete und hoffe, dass es noch eine Weile so bleibt. Denn, und da mache ich mir nichts vor, die Kinder werden älter, die Bedürfnisse und Interessen ändern sich, irgendwann wird auch diese Idylle in Frage gestellt werden. Aber zunächst bin ich unendlich dankbar für diesen guten Start und dass wir das Wagnis gemeinsam eingegangen sind. Dieser Ausstieg war eine der besten Entscheidungen, die wir als Familie je getroffen haben.

Durch Gespräche merke ich immer wieder, wie das Thema Schule in vielen Familien ein breites Terrain einnimmt, für einige Konflikte sorgt und wie Fragen existieren, wie man den Kindern helfen kann, mit den vielen Zwänge zurecht zu kommen. Deshalb steht Lernen und Schule in diesem Rundbrief im Mittelpunkt. 

Ich höre oft bedauernde Worte von Kindern und Eltern, die Möglichkeiten eines Ausstiegs nicht sehen oder nicht haben und unfreiwillig in das System der Schulpflicht gezwungen werden. Dieses Thema packt mich und ich kann darüber leidenschaftlich werden. Bitte verzeiht manche überspitzte Darstellung. Wir haben diesen Weg gewählt, weil wir eben nicht überzeugt waren, dass der „normale“ schulische Werdegang das Beste für unsere Kinder und uns wäre.

Kürzlich las ich, die meisten Schulen würden sich in kurzer Zeit selbst entvölkern, hätten die Kinder die echte Möglichkeit, selbst zu bestimmen, ob sie die Schule besuchen oder nicht. (Davon ausgenommen sind vielleicht hoch bezahlte Privatschulen, die sich den Luxus leisten können, ihren Schülern neben dem ganz normalen Lernzwang auch manch lustvolle Lernerfahrung zu ermöglichen, einfach weil ihr Angebotsspektrum größer ist, ihre Lehrer motivierter, ihre Ausstattung exklusiver…)

In meiner eigenen Schulkarriere lernte ich bald, dass Schulbesuch keine notwendige Bedingung für Bildung ist. Denn meine Liebe zur Malerei, Musik, Literatur, Poesie und Reisen hatte mit der Schule wenig zu tun und das, was ich heute weiß und kann, habe ich ihr auch nicht zu verdanken. Das meiste habe ich sowieso vergessen. (War ich aber froh, als ich neulich wieder durch Simon lernen durfte, was es mit dem Kommutativ-, Distributiv-, usw. – gesetzen auf sich hat. Ach, du liebe Güte und die unflektierbaren Verben, wie tief musste ich da, leider erfolglos, in meinen Gehirnwindungen kramen…)

Nicht vergessen habe ich aber die köstlichen Lesestunden am Nachmittag, die Ergriffenheit während eines Konzertes, das plötzliche Erfassen eines Bildes in einer Ausstellung. Und vor allem eines habe ich der Schule nicht zu verdanken: das Spüren von dem, was ich will. Was ich nicht will, spürte ich täglich im Klassenzimmer. 

Doch das Empfinden von Lebendigsein, von Lust am Leben, von übermütigen, neuen Ideen und Plänen – spürte ich eher im Kirschbaum als im Klassenraum. Überhaupt, die köstlichsten Lernmomente, das Erkennen von Zusammenhängen und logische Schlussfolgerungen, die von selbst in Einem wachsen, ja das erlebte und gelebte Leben fand außerhalb der Schulmauern statt. Außerhalb des beobachteten,  angeleiteten und bewerteten „Geprüft-Werden“. So war es bei mir.

Ich kenne auch Menschen, die voller Begeisterung an ihre Schulzeit zurückdenken, die von ihren Lehrern auch heute noch schwärmen und die scheinbar alles unbeschadet überstanden haben. Wenn man aber weiter mit ihnen darüber redet, stellt sich interessanterweise doch heraus, dass es vor allem gute menschliche Beziehungen waren, enge Freundschaften, lustige Erlebnisse, schief gegangene chemische Versuche, Klassenfahrten, ulkige Lehrer… also das Drumherum, was das Positive an der Schule ausgemacht hat, weniger die Unterrichtsinhalte, das Lernen, die Hausaufgaben, die Tests. 

Vermutlich habe ich doch sehr viel in der Schule gelernt, ich will nun nicht sagen, dass alle Wissensvermittlung, wie sie in der Schule geschieht, völlig unsinnig ist. Ich halte mich nicht für eine Verfechterin des „Unschooling“, wo systematische Bildung und Weitergabe von Lerninhalten an sich abgelehnt wird. 

Es fällt aber auf, dass die Lernfabrik „Schule“ so sehr von uns Besitz ergriffen hat, dass es kaum mehr möglich ist, den Wert nichtinstitutioneller Lernprozesse zu erkennen und zu schätzen. Und das, obwohl die Menschen die wichtigsten Dinge im Leben ohnehin außerhalb der Schule lernen.

Obwohl in Deutschland viel Gerede um Bildung gemacht wird, ist unsere Schulausbildung leider doch nicht der Rede wert. Ein durchschnittlicher deutscher Abiturient würde z.B. in Österreich glatt durch das Abitur („Matura“) fallen, zumindest im Fach Mathematik. Ganz zu schweigen von den Standards in Skandinavien und Osteuropa. 

Zwar wird hierzulande viel von Bildung geredet, es wird aber außer unsinnigen Diskussionen nichts dafür getan, dass Schüler besser lernenkönnen und demnach tatsächlich mehr wissen! Deutsche Schüler wissen in der Regel weniger als Schüler anderer Länder, und das ist leider nicht erst seit Pisa so. Da wurde es nur erkennbar. Das ist umso paradoxer, als gerade die deutsche „Schulhaus-Pflicht“ jedes Kind an die Schule zwingt, die Bildung hierzulande also flächendeckend, gut und zuverlässig sein sollte. Aber offensichtlich können deutsche Schüler ihr Wissen weniger gut abrufen oder sie haben weniger Bildungsinhalte vermittelt bekommen.

Das deutsche Schulsystem krankt und allein die Tatsache, dass Deutschland in der Bildungspolitik immer noch europäisches Schlusslicht bildet, liegt sicher auch daran, dass Deutsche sich schwertun, Dinge zu verändern. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, das alte „Reichsschulpflichtgesetz“ von 1938 aufzuheben, das die Schulpflicht einführte und ganz sicherlich anderen Zwecken diente, als die Bildung zu verbessern. Was früher als Nazi-Kontrollorgan eingerichtet wurde, wird heute zum hehren „Vermeidung von Parallelgesellschaften“ (Merkel) erhoben, ist aber nichts anderes, als dieselbe Kontrolle behalten wollen. Deshalb haben wir heute noch die Schulhaus-Pflicht in Deutschland, die besagt, dass die Bildung der Kinder exklusiv im Schulhaus statt zu finden hat und die Schüler ihre Bildung von (mehr oder weniger) geeigneten Lehrkräften erhalten müssen. Diese Tatsache hinterlässt in Europa, wo sich fast überall die liberalere und vernünftigere Bildungspflicht durchgesetzt hat, keinen guten Eindruck. In den meisten anderen europäischen Ländern sind Eltern nicht an die Schulhaus-Pflicht gebunden, sondern lediglich an die Bildungspflicht, die vorschreibt, dass Eltern für die Bildung ihrer Kinder zu sorgen haben. Wo die geschieht und wie die geschieht, ist Sache der Eltern. In manchen Ländern, wie z. B. In Frankreich finden regelmäßig Kontrollen statt, ob das auch geschieht. In vielen osteuropäischen, sowie skandinavischen Ländern, wo viele Kinder wegen zu großer Entfernungen keine Schulen besuchen können, lernen die Schüler, meistens mit sehr guten Ergebnissen selbstständig zu Hause. Ich habe viele Studien zu Homeschooling gelesen und es zeigt sich immer wieder, dass das Wissen von Kindern, die alleine und selbstständig zu Hause lernen, viel profunder ist, als das von gleichaltrigen Schulgängern. 

Ein deutsches Bildungskonzept der Zukunft kann nur gelingen, wenn die Schule den Eltern gegenüber nichtauf dem Monopol zur Bildung besteht. In einer pluralistischen Gesellschaft muss Schule ein offener Gestaltungsraum sein und darf nicht zur Vollzugsanstalt für Schulpflicht degenerieren.

Ich habe grundsätzlich nichts gegen einen Ort „Schule“ an sich, aber ich sehe es in der Praxis kaum, dass Schule (ab der Mittelstufe) gelingt. 

Zwänge erzeugen Abwehr

Fragt man Grundschüler nach Schule, leuchten die Augen (noch). Fragt man 12-Jährige und Ältere, hört man in den meisten Fällen  „stressig“, „keine Lust“, „ätzend“, „doofe Lehrer“, und einiges andere. Dass sie hier zu etwas gezwungen werden, passt in die Entwicklungsprozesse eines Pubertierenden gar nicht.

Wir nehmen doch Alle eine Abwehrhaltung auf Zwänge ein. Nicht selten wird in Schülern eine Abwehrhaltung provoziert, weil sie zum Lernen gezwungen werden sollen. Lernen wird ihnen sozusagen verordnet, in ihnen fremden, weil nicht eigenen Dosierungen. Weder können sie Zeitpunkte des Lernens, noch Inhalte frei wählen: Stundenanzahl, und -länge,  Inhalte, Hausaufgaben, Tests, Abfragen, Leistungsnachweise,…. wo können und dürfen Schüler mitbestimmen???

Das ist umso verheerender, als der Mensch an sich ein offenes, fragendes, neugieriges und lernendes Wesen ist. Wir sind so geschaffen, dass wir Freude am Neuen, am Unbekannten, am Entdecken, am Ausprobieren, am LERNEN haben. Unser Gehirn schreit förmlich nach neuen Lernerfahrungen. Und unser Staat hat nichts Besseres zu tun, als eben diese Selbstverständlichkeit zur Pflicht und Dressur zu erheben und damit alle Begeisterung und Lernfreude im Keim zu ersticken.  

„Es entgeht eine Mehrzahl der Bevölkerung wie belastend gesellschaftliche Konditionierung auf die Persönlichkeitsstruktur wirkt und es fehlt das Sensorium für die feinen und vielversprechenden Lernstrebungen und Lebensprozesse, die sich ohne jegliche Belehrung einstellen und Bestandteil der Entfaltung des Menschen sind…. Es bedarf keineswegs der systematischen Unterweisung, um einen Bildungsvorgang zu erwirken und es bedarf keiner künstlich erzeugten Motivation, um Kinder zum Lernen zu verführen.“ (Rebecca Wild)

Viele Schulen, ja, ich würde sagen, die Meisten, verpassen hier enorme Gelegenheiten. Wie bereichernd für Lehrer und Schulleitung wäre ein intensiver Austausch mit den Schülern: was möchtet ihr im kommenden Schuljahr lernen, was möchtet ihr besser können, was interessiert euch, was kann ich euch anbieten, was solltet ihr können,… tausende Möglichkeiten, Schüler einzubinden und ihre natürliche Wissbegier zu befriedigen. Stattdessen, alles vorgekaut, alles vorgelegt, vorgeschrieben, so und nicht anders. Ob Lernen so stattfindet? 

Eltern als Komplizen der Schule

Schule (und Hausaufgaben und Tests und Vokabellernen und Klassenarbeiten…) werden zwangsläufig zu einem unnatürlich aufgeblähten Thema in den Elternhäusern. Ein starres Schulpflicht-System zwingt Eltern in die Komplizenschaft und drängt sich penetrant zwischen die ehemals unbelastete Beziehung der Eltern zu ihrem Kind. Sie verändert die Sichtweise, die Haltung und das Auftreten der Eltern ihrem Kind gegenüber und manipuliert damit die häusliche Atmosphäre. Genau das ist die schlimmste Folge der Schulpflicht.

Eltern werden dazu getrieben, der verlängerte Arm der Schule zu sein. Sie dürfen nicht mehr nur ihr Kind sehen, über dessen Dasein sie einfach vollkommen glücklich, zufrieden und dankbar sind, sondern sie werden dazu getrieben, durch die Brille der Lehrer-Beurteilung, Der Leistung, der Noten, des Zeugnisses, der Elternabende…. zu sehen. Wer will oder wer kann schon untätig und gleichgültig mit ansehen, wie das eigene Kind in der Schule zurückbleibt, womöglich den Anschluss verpasst? Das Kind wird dazu getrieben, wie eine Lernmaschine zu funktionieren, Leistung nach Leistung nach Leistung zu erbringen. Wehren darf es sich nicht, es muss weitgehend auf Widerstand oder Auflehnung verzichten, wenn es die Beziehung zu seinen Eltern nicht belasten will, wenn es sich nicht als Versager entpuppen will. Im Grunde genommen geschieht hier geistige und seelische Vergewaltigung, sowohl der Eltern, als auch der Kinder. Schulzwang ist nichts anderes.

Dazu kommt der Gruppenzwang und die Hierarchie in den Klassen. Sozialer Druck, Wettkampf (Überlebenskampf?), Mobbing, Verachtung durch Lehrer, etc… die Liste der möglichen Faktoren, die einem Schüler seelische Pein verursachen können, wäre endlos fortzusetzen. Es ist nicht zufällig, dass von Generation zu Generation die Probleme der Schüler wie psychische Erkrankungen, Ess-Störungen, Ritzen, Drogen, chronische Schwänzer, Kriminalität… zunehmen. Daran ist natürlich nicht nur der Schulzwang schuld, aber er trägt mit dazu bei, die Lebenslust und -freude junger, heranwachsender Menschen erheblich zu dämpfen und ihnen ihren jugendlichen Mut zu nehmen.

Die meisten Schüler können gar nicht anders, als sich irgendwann mit unmotivierter Lustlosigkeit gegen diese Zwangssysteme zu wehren. Und die meisten Eltern sehen und fühlen das und leiden. Sie schwanken zwischen Mitleid mit dem Kind und Ausübung von Macht. Ja, Schulzwang verändert nicht nur Familienbeziehungen, es verändert die ganze Gesellschaft und lässt beim Thema „Lernen“ kollektiven Frust und Ärger aufkommen.

Schulalltag an sich

In den meisten Schulen muss ständig zu viel zu schnell gemacht werden. Das geht zu Lasten der Qualität des Lernens. Und es bringt viele Schüler um die genussvolle Lernerfahrung, sich in eine Sache absolut zu vertiefen. Kein Wunder, wenn sie am Ende des Schuljahres nicht mehr wissen, wovon am Anfang die Rede war. Ich habe das selbst in meiner Zeit als Realschul-Lehrerin erlebt: da wussten die Schüler oft nicht mehr, was in der Stunde direkt vor meinem Unterricht gemacht worden war. Wenn ich danach fragte, bekam ich entweder zu hören „keine Ahnung“, oder „irgendwas“. 

Zweitens entspricht das stark auf kognitives Lernen ausgerichtete Schulsystem in keiner Weise der Ganzheitlichkeit des Menschen, den wachsenden spezifischen Bedürfnissen von Jugendlichen und schon gar nicht den späteren Anforderungen des Lebens. 

Da las ich neulich folgende Worte des Rektors eines Freiburger Gymnasiums: „Es ist wichtig, dass man Bildung als Dienstleistung sieht, die Qualität hat. Unter diesem Aspekt glaube ich, dass man auch ehrlich arbeiten kann.“ (Stadtkurier Freiburg, 9.06.2011) 

Bei soviel unüberlegtem Unsinn kann einem schon mal übel werden. Denn, dass Bildung eine gewisse Qualität haben sollte, braucht ja nicht herausgestellt zu werden, aber was soll die Dienstleistung an dieser Stelle? (Zu dem zweiten Satz enthalte ich mich besser.)

Es würde den Hochwohlgeborenen unseres Schulwesens nicht schaden, das Ganze auch ab und zu mal von der Warte des Kindes aus zu betrachten. Das Kind leitet sich selbst zum Lernen und Verstehen, so wie eine Pflanze sich automatisch zum Licht wendet und ihre Wurzeln dahin streckt, wo sie sich weiter entwickeln kann. Als Lehrer kann man das Kind wahrnehmen in seinem Neugierverhalten und dem Willen, bestimmte Erfahrungen zu machen. Und eigentlich geht es nur darum: als Lehrer und als Eltern das Kind richtig zu lesen, um herauszufinden, welche Erfahrungen es machen will. Das ganze Blabla von Dienstleistung, Qualität und Ehrlichkeit hat an dieser Stelle nichts zu suchen. 

Was nun?

Jetzt habe ich aber über das Schulsystem mächtig vom Leder gezogen. Ich weiß wohl, dass meine Sicht nur die eine Seite darstellt, es gibt auch die andere. Schule kann so vieles sein. 

Ort der Begegnung und der Freundschaften, und aus diesem Grund gehen viele Schüler eben auch gerne in die Schule. Für Manche ist sie ein Hort und für Einige sogar Zufluchtsstätte vor schwierigen Elternhäusern. Seit den Amokläufen in Deutschland, werden vermehrt Schulpsychologen tätig, was eine enorme Entwicklung bedeutet und vielen Kindern starken Halt gibt. Auch die Lehrer sind ständig im Wandel. In meiner Zeit als Lehrerin, habe ich viele Diskussionen und großes Ringen um die Schüler mitbekommen. Ganz sicher kann man Lehrern ganz allgemein unterstellen, dass sie enormen Einsatz für ihre Schüler bringen und dass sie bemüht sind, das Beste aus ihnen „rauszukitzeln“. Ich bin mit Leidenschaft Lehrerin und rückblickend auf mehr als 15 Jahre Lehrtätigkeit, vermute ich, dass unser Ausstieg vor allem für meine eigene Sicht wichtig war. Meine früheren verqueren Ansichten halten hier, in der Wildnis, nicht mehr stand. Das Wagnis und das Risiko eines solchen Schrittes jedoch bleiben hoch und wir kennen noch nicht das Ende.

Wie ich schon zu Beginn sagte, überspitze ich wohl etwas, aber es ist gewiss kein Plädoyer gegen Schule an sich, vielmehr ein Nachdenken über mögliche Missstände im System und ein Suchen nach Wegen, um als Eltern positiv einwirken zu können. Denn darum geht es ja und nicht darum, zu pauschalisieren oder gar den Ausstieg zu glorifizieren. Abgesehen davon, dass ein Ausstieg nicht für Jeden das Beste wäre, ist es auch nicht für jede Familie machbar.

Jedoch hat man als Eltern einige Möglichkeiten, um den Druck der Schule raus zu nehmen. Viele finden Wege, um den Kindern um die Schule herum ein gutes, fröhliches und freies Leben zu ermöglichen. Und man kann das Thema Schule, soweit wie möglich aus der Freizeit  (vllt sogar aus dem Wochenende?J) rauslassen. Den Ball niedrig halten, sozusagen.

Ich möchte gerne wieder an die Schule gehen, wenn unsere Auszeit in einigen Jahren vorbei ist. Darauf freue ich mich, denn sosehr ich das Leben hier genieße, möchte ich doch irgendwann wieder aktiv an der Gesellschaft teilnehmen und mitgestalten, wo es möglich ist. Außerdem: es ist so ein wunderbares Gefühl, die Augenpaare einer Klasse auf sich zu spüren, in die unverbrauchten, erwartungsvollen Gesichter zu blicken und Neugier, Fragen und Offenheit darin zu lesen. Das ist bestimmt ein Grund, für den es sich lohnt, zurück zu kehren. 

Wie es sein könnte

„Wirkliches Verstehen bedeutet nicht, dass das Kind einfach Informationsklumpen memoriert, sondern sich Wissen und Fähigkeiten aneignet, die es mit seinem bestehenden Wissen vernetzen kann.“ (Remo Largo)

Wir wollten uns dem Diktat der Schule nicht beugen, wir wollten uns Aufmachen zum freien Lernen und Leben. Wir wollten „bestehendes Wissen vernetzen“. Wie aber konnten wir diese theoretischen Erkenntnisse konkret im Alltag umsetzen? 

Der bekannte Spruch: „Die Schule ist das Leben und nicht umgekehrt“ ging mir oft durch den Kopf. Wir hatten ziemlich klare Vorstellungen von dem, was wir nichtwollten, aber was wollten wir dann?

Ich persönlich hatte nur in einigen wenigen Punkten eine klare Vorstellung, wie es sein könnte:

Auf unserem Weg zur eigenen, freien Lernwelt würde eine Atmosphäre der gewaltfreien Lernprozesse wichtig sein. Lernen ohne Zwang – das sollte hinter allem Lernen stehen. Trotzdem sollte strukturiertes Lernen möglich sein, es sollte Verbindlichkeit da sein, keine willkürlichen Launen, die heute mal so und morgen anders sein würden. Denn auch Kontinuität und Disziplin ist Lernen. 

Wir gingen schrittweise vor und begannen damit, unsere Kinder an einer deutschen Fernschule mit großem und gutem Angebot anzumelden. Maria Montessoris Vorstellungen und Begriff von der „vorbereiteten Umgebung“ war ein wichtiger Wegweiser, was die Ausstattung unserer Zirkusschule und des ganzen Geländes betraf. Viele anregende Möglichkeiten den Tag zu gestalten, große zeitliche Freiheiten, im Rahmen einer klaren Struktur.

Ob Schule stattfindet oder nicht, sollte nicht jeden Tag neu diskutiert werden. Auch nicht, ob wer wann Hausarbeiten, Küchendienste und anfallende extra Aufgaben übernimmt, es sollte von Anfang an offen besprochen sein, dass so ein Projekt nur funktioniert, wenn jeder seinen Beitrag freiwilligleistet. 

So redeten wir mit den Kindern sehr viel über unseren Ausstieg, lange bevor wir starteten. Wir planten gemeinsam wie der Tagesablauf aussehen sollte, welchen Stellenwert die Schule haben sollte, ob wir zeitliche Ziele stecken wollten (wann soll das Schuljahr enden, mit allen anderen Schülern, früher oder später?) und welche Rollen wir als Eltern, insbesondere ich als ständig anwesende Mutter dabei spielen sollte.

Simon und Hanna zeigten sich sehr interessiert und für meine Begriffe recht ehrgeizig. Keine Spur von „wir wollen keine Schule“ oder „erst mal ein halbes Jahr nix tun“.  Hochmotiviert starteten wir Mitte Oktober 2010.

Und wie sieht es nun, nach dem ersten Jahr Praxiserfahrung aus?

Im Allgemeinen muss ich sagen, dass mich die Kinder immer wieder überraschen. Ich hatte mit regelmäßigen Durchhängern gerechnet oder damit, dass ich evtl. täglich eine Motivationsmaschinerie anschmeißen müsste, aber das blieb aus. Vorläufig. Bin gespannt, wie lange.

Trotzdem gibt es immer mal auch Spannungen oder Diskussionen. 

Manchmal ist eines der Kinder nicht bereit, sich in den Tagesablauf einzugliedern. Keine Lust zum Abwasch, lieber weiterspielen. Oder heute mal kein Mathe, lieber morgen eine Doppelstunde. Oder es kommt vor, dass mal das eine Kind, mal das andere morgens im Bett rumlümmelt („Ich habe keine Lust aufzustehen“, „Ich bin zu müde“, „Ich mag heute keine Schule machen“, „Ich will jetzt Boot fahren“….). 

Als das zum ersten Mal nach einigen Monaten begann, musste ich erst lernen, damit umzugehen. Ich hatte so was eigentlich früher erwartet und war dann doch überrascht. Bei Hanna wurde mir dann klar, dass sie gar nicht das Lernen an sich ablehnte, sondern das Auskosten und Ausloten der neuen Freiheit genießen wollte. Sie wollte plötzlich nur noch lesen, malen, mit den Tieren spielen und im Wald Häuschen bauen. Ich beschloss, eine Weile abzuwarten und dachte mir, wenn sie davon genug hat, wird sie kommen. Sie kam nach einigen Tagen wieder an ihre Schulbücher, erzählte viel und war recht erfüllt von ihren Naturbeobachtungen. Aber es wunderte mich, dass sie auch unzufrieden war und maulte: „Mama, jetzt muss ich soviel nachholen! Warum hast du mich nicht gezwungen, dass ich Schule mache?“ „Wieso soll ich dich zu etwas zwingen, was du dir selber vorgenommen hast? Du hast dir doch ein Ziel gesetzt. DU willst doch zum Schuljahresende fertig werden. Wenn du das erreichen möchtest, musst du auch was dafür tun!“ „Ja, schon, aber ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging…“ „Willst du, dass ich dich zum Lernen rufe? Soll ich unterstützen und dich an dein Ziel erinnern? Soll ich dich rufen, wenn du grade mal zu sehr im Spielen bist und es eigentlich Zeit zum Lernen wäre? Das kann ich tun, aber wenn du nicht kommen willst, werde ich dich nicht zum Lernen zwingen. Dazu sind wir nicht hergezogen!“ 

Durch solche und ähnliche Gespräche erinnern wir uns immer wieder an unseren Grundsatz, dass die Kinder für ihr eigenes Lernen verantwortlich sind und auch für ihre Zeiteinteilung. Ich weigere mich, als Aufpasser und Antreiber hinter ihnen zu stehen. Trotzdem muss ich einen Rahmen bilden, in dem gewisse Regeln gelten. Sie haben noch nicht die Kraft, von ganz alleine dran zu bleiben und ich darf sie nicht mit ihren Launen alleine lassen. Das musste ich erst lernen.

Auch ich bin täglich Schüler. Wenn ich meinen Kindern gar kein klares und manchmal auch drängendes Wort sage, fühlen sie sich alleine gelassen. Sie erwarten, dass ich ihnen helfe, das selbst gesetzte Ziel im Auge zu behalten, dass ich sie unterstütze, indem ich ihnen Mut mache, dass ich selber auch dran bleibe, gemeinsam mit ihnen. Dass ich aber auch mal Ausnahmen zulasse und einige Übungsaufgaben weglasse, wenn ich merke, sie können und begreifen es, das hilft ihnen auch. 

Simon ist in dieser Hinsicht eher wie ruhiger, steter Fluss. Er geht täglich zielstrebig und total mit sich und der Welt im Reinen an seine Bücher, macht sich selber seine Stundenpläne und übernimmt Verantwortung für sein Lernen. 

Was ich gelernt habe, ist, immer wieder positive Botschaften an die Kinder zu senden:

  • den Einsatz kannst du selbst bringen, „selbstinitiiertes Lernen“ (R.Wild), d.h. du übernimmst die Verantwortung für dein Lernen, nicht ich als Mutter
  • du bist wichtig. Ich nehme mir Zeit für dich
  • wir wollen dich fördern und zwar so, wie du es selbst willst

Wir als Eltern sind daran interessiert, dass die Kinder sie selbst sind. Und wir fragen uns immer wieder: erlebt sich das Kind als ein in eigener Kompetenz handelndes, denkendes Wesen oder nur als fungiertes Ziel von Bevormundung und Anleitung? Dieser Unterschied wirkt sich auf die Lernprozesse aus. Obwohl beide Kinder vorher motivierte Schüler waren, denke ich, dass sie jetzt tiefere Lernprozesse kennen lernen und ein größeres Verständnis vom Lernstoff bekommen.

Auch unser Miteinander hat sich sehr verändert. Früher war ich es gewohnt, ständig Anweisungen an meine Kinder abzugeben: „Grüß bitte.“ „Hast du schon Danke gesagt?“ „Guck mal, da ist Frau Müller, geh sag ihr mal Hallo.“ „Zieh deine Jacke an“ „Nimm den Ellenbogen vom Tisch.“ „Sitz gerade“ „Wisch dir den Mund ab“ „Schmatz nicht“ „Ist dir nicht kalt? Zieh dir was an!“

Wie kann man so leben? Sind Kinder dazu da, um zu funktionieren? Um Erwartungen zu erfüllen?

Heute schäme ich mich für meinen Unsinn von früher und entschuldige mich, wenn mir noch mal so was rausrutscht. Ich klebe manchmal immer noch an meinen eigenen Erwartungen an die Kinder und ich tue mich sehr schwer mit dem Loslassen. Ich beobachte mich und stelle fest, dass mir dämliche und überflüssige Anweisungen fast automatisch über die Lippen wollen. Immerhin habe ich jetzt erlernt, den Moment zu erspüren, bevor es mir rausrutscht und einfach nur abzuwarten, was passiert.

Und siehe da, wenn es glückt und ich meine Weisheiten rechtzeitig für mich behalten konnte: das Kind verhält sich viel besser, als ich es erwartet hatte und zehnmal besser, als meine Anweisung gewesen wäre. Sie geben den Leuten von alleine die Hand (auch ohne, dass ich es ihnen ins Ohr zische), sie essen manierlich (seit ich aufgehört habe, ein großes Thema daraus zu machen), sie wollen in der Regel morgens früh aus dem Bett (seit ich aufgehört habe, sie zu stressen und zu pushen), sie helfen ohne Aufforderung im Haushalt mit (seit ich aufgehört habe, Strichlisten zu führen, wer wann nicht mitarbeiten wollte)….

Man könnte nun denken, dass die Kinder es eben durch meine früheren Anweisungen bereits gelernt haben, was meine und des Lebens Erwartungen sind und es jetzt deshalb schon können. Mag sein.

Vielleicht ist es aber so, und das halte ich wahrscheinlicher, dass sie mich nun aus purer Dankbarkeit mit guten Manieren belohnen. Dankbar, weil ich aufgehört habe sie zu traktieren und ihnen ihre Fehler ständig unter die Nase zu reiben. Vielleicht spüren sie, dass ich mehr Vertrauen habe. Und vielleicht müssen sie keine Abwehrhaltung mehr einnehmen. Sie haben jetzt mehr die Möglichkeit, durch freiwilliges Nachahmen zu agieren und nicht durch Aufforderung, Anweisung und Bevormundung. Fehler machen wir alle und das dürfen wir auch. Aber ein ganz trauriger Fehler ist es, wenn Eltern meinen, sie hätten ihren Kindern an guten Absichten was voraus.  

Heute denke ich mehr und mehr, Kinder müssen nicht erst etwas werden, Kinder sind einfach in jeder Entwicklungsstufe in sich richtig und gut, so wie sie sind. Mir hat immer der Leitspruch unserer ehemaligen Grundschule gut gefallen: „So wie du bist, bist du gut.“ (Maria Montessori)

Aber ich habe jahrelang nicht verstanden, was das wirklich bedeutet. Ich hatte immer so eine verkopfte Vorstellung von meinen Kindern, sah so eine bestimmte Vision: wenn sie endlich das oder das können oder besser machen, wenn sie endlich nicht mehr dieses oder jenes tun, wenn sie endlich kapieren, wenn sie endlich aufhören, wenn sie… So als ob das Kind ständig irgendwelche unfertigen, inakzeptablen Phasen durchschreiten würde und wir als Eltern diese Phasen ertragen, erdulden, lenken, leiten, verhindern, verkürzen, steuern, unterbinden, verbieten,… müssten.

Wann lerne ich, mit dem Herum-doktern und Verbessern-wollen, Erziehen-wollen aufzuhören? Letztlich ist sich jeder Mensch selbst am nächsten, in dem Sinne, dass er am besten spürt, was er braucht. Kinder in noch viel höherem Maße als wir verbogene Erwachsene. Wann lerne ich meinem Kind so vertrauen, dass ich nichts mehr sage, außer, es fragt mich?

In Jesu Augen hatten Kinder den höchsten Stellenwert und er bewunderte sie für ihr reines Herz und ihren Glauben und stellte sie den Erwachsenen als Vorbild vor. Ich bin dabei, mich von respektlosen Methoden der Kindererziehung zu verabschieden und in Kindern endlich das zu sehen, was sie sind: „sehr gute“ Geschöpfe Gottes, von denen wir viel lernen können. Wenn wir es zulassen. Sie können von uns weniger lernen, als wir von ihnen.

Und ich muss täglich um Geduld und echte Weisheit beten, denn davon fehlt mir noch ziemlich viel.

Ich wünsche uns allen einen schönen Sommer, noch einige warme Tage und viel Gelassenheit mit unseren Kindern und uns selbst,

Eure

Eva

PS: Erzwungenes Lernen ist auch eine Form der Vergewaltigung.