Als Kind spielte ich Klavier, weil es so unendlich viel Aufregendes zu entdecken gab. Was meine Hände und Finger alles auf diesen Tasten zaubern konnten! Was für herrliche Klänge sie diesem riesigen schwarzen Monster entlockten! Ich betrachtetet die Musik als einen faszinierenden Spielplatz.
Als Jugendliche spielte ich Klavier, weil es ein Ziel gab, das ich hartnäckig verfolgte: besser und immer besser werden. Schnellere Finger, reichere Klänge, mehr Werke und noch mehr Werke spielen können. Am liebsten die ganze Klavierliteratur einfach aus dem Ärmel schütteln können! Ich benutzte die Musik für meinen persönlichen Ehrgeiz.
Als Studentin übte ich Klavier, weil ich mein Musikstudium gut und schnell abschließen wollte. Weil ich mich auf den Bühnen gegen Konkurrenz behaupten wollte, weil ich den Druck und die Erwartungen meiner Professoren spürte, weil ich niemanden, vor allem mich selbst nicht enttäuschen wollte. Ich brauchte die Musik für mein berufliches Weiterkommen und um eine Perspektive zu haben.
Als Erwachsene, als Klavierlehrerin, als Hausfrau und Mutter von Kleinkindern übte ich kaum noch Klavier. Ich unterrichtete stattdessen, wie man besser und immer besser werden kann. Ich vermisste das Klavier und die Musik. Aber ich wusste es nicht.
Heute spiele ich wieder Klavier. Ganz ohne Erwartungszwang. Ich habe endlich das Gefühl, ganz frei den Duft der Musik einzuatmen. Jeden Tag aufs Neue, so wie ich den Duft meiner Rosen genieße. Endlich genieße ich die Musik als das, was sie wirklich ist: als ein Geschenk Gottes an mich und die ganze Menschheit.
Ich möchte nie wieder die Musik als Vehikel benutzen. Ein Musiker-Freund sagte einmal zu mir: „Ich stehe morgens voller Hoffnung auf und lege mich abends voller Dankbarkeit schlafen. “ Ja, diese Geschenke kann einem ein Leben mit Musik machen. Aber nur, wenn man sie nicht mit Aufgaben überfrachtet, die nicht ihre sind.