Eine sehr bewegte Zeit liegt hinter uns. Nicht nur ereignete sich in Frankreich recht viel, sondern auch in meiner Familie in Rastatt passierten einige aufregende Dinge: im Herbst verunglückte meine Mutter mit dem Fahrrad und musste operiert werden. Mittlerweile geht’s ihr wieder ganz gut, wenn sie auch noch an Stützen gehen muss. Kurze Zeit später wurden mein älterer Bruder und seine Frau zum zweiten Mal Eltern, sie durften die Geburt ihres Söhnchens „Louis Maximilian“ miterleben. So war ich mit Simon und Hanna auch ab und zu in Rastatt, sowohl um meinen Eltern und der 90jährigen Oma beizustehen, als auch unseren neuen Cousin/Neffen zu begrüßen und zu bestaunen.

Anfang Oktober feierten wir Simon`s 11. Geburtstag. Er hatte dazu einige seiner Freunde  auf unsere „Ferme“ eingeladen und so verbrachten sie ein ausgelassenes, erlebnisreiches Wochenende bei uns, mit Geländespielen im nächtlichen Wald, Tageswanderung im „1000 Seen-Gebiet“, angebranntem Schokokuchen, Lagerfeuer, Angeln und Bootfahren.

Der Herbst war sehr warm, Mitte Oktober konnten wir noch im T-Shirt auf der Terrasse zu Mittag essen. Ab und zu fuhren wir nach Freiburg, um den Garten dort winterfest zu machen. Laub harken, Rosen schneiden, Rasen mähen, Kaninchen vom Sommerfreigehege ins Winterlager umziehen…. in jeder „Schulpause“ arbeiteten wir und die Kinder bekamen viel mehr von den Erwachsenen-Tätigkeiten mit als früher. Nun heißt es, alles gemeinsam machen, Wäsche zusammenlegen, bügeln, kochen, putzen,… Hanna fragte mal verblüfft: „Mama, hast du früher auch soviel gearbeitet?“ Tja…. immerhin, nun wird es wahrgenommen…..  Wir gleichen uns an, ich kriege mehr von ihren Kinderspielen mit und sie von meinen Tätigkeiten. Ich werde mehr zum Kind, fühle mich gelassener und sie entwickeln zunehmend ein Gespür für die Dinge die getan werden müssen, sie beginnen die Aufgaben zu sehen.

Ja, und Äpfel ernten. Welch apfelreiches Jahr! Wie wild sammelten wir unsere Boskop-Äpfel und als die Körbe ausgingen, kamen Simon und Hanna auf die Idee, Äpfel zu verkaufen. Sie stellten sich im Stadtviertel Vauban mit Tisch, Waage und Kasse auf die Straße. Nicht ohne vorher genau abgewogen zu haben, wie viel sie dabei hatten. („Wir müssen ja wissen, wie viel wir verdienen!“) Ungeniert erscholl es vor dem Quartiersladen: „Äpfel, schöne Äpfel! Ganz billig!“ Die Leute blieben stehen und kauften.  Unterstützt wurde Simon dabei auch von seinem Freund Simon E. Gemeinsam waren die Beiden ein unschlagbares Verkaufsteam. Zeigte ein Passant nicht das erwünschte Interesse, gingen sie ihm nach und bearbeiteten ihn solange mit Charme und Argumenten („Möchten Sie vielleicht kosten?“), bis er schließlich kaufte. Ich ließ sie gewähren und gehörte nicht dazu!

Jemand sagte mal, in den Vogesen gäbe es eigentlich keinen Herbst, auf den Sommer folge der Winter. Fast könnte ich dem zustimmen. Denn nach den sommerlich warmen Oktobertagen kam plötzlich, über Nacht, leise und unerwartet der erste Schnee. Es war im  November und bevor wir uns versahen, hatten Schneeflocken die uns gut bekannte Umgebung in eine neue Traumwelt verwandelt, in einen Ort der Schönheit, Stille und neuen Möglichkeiten. Wir kannten bis dahin noch nichts von diesem Zauber, hatten wir unsere Ferme doch im satten Frühlingsgrün bezogen. Nun öffnete sich unser Herz erneut für die Schönheit dieser Gegend, denn sie war in ihren ersten Schnee gekleidet. Duftige Puderbäusche hingen auf den Tannen und gefrorenes Weiß überzog jedes Ästchen. Die wunderbar unberührte Schneedecke wurde einzig im Hirschgehege von schmalen Spuren durchzogen, die ein wohlgeordnetes Muster ergaben. Man mochte gar nicht auftreten und die Herrlichkeit zertrampeln. Der uns umgebende Wald war vollkommen still geworden und die Vögel, die wir nachts gehört hatten (besonders ein lauter, schreiender Vogel, dessen Name ich noch nicht ausmachen konnte) waren verstummt.

Es wurde drinnen gemütlich mit Kaminfeuer, Malen, Spielen und Plätzchen backen.  Bei Letzterem geriet ich allerdings nervlich an meine Grenzen, denn ein „cityslicker“ wie ich, ohne jegliche Ahnung von einem mit Holz befeuerten Backofen, tappt in jede Falle, die sich Einem stellen kann. Als dann das zweite Backblech mit liebevoll ausgestochenen, kohlrabenschwarzen Plätzchen in den Schnee flog, beschloss ich endlich, mir den Ofen etwas genauer anzusehen. Aha, man konnte zwar keine Temperatur einstellen und mangels Thermometer konnte ich sie auch nicht messen, aber man kann immerhin feststellen, dass die Plätzchen hinten links etwas dunkler aussehen, als die vorne rechts. Also: alle paar Minuten Backblech drehen, nur ungefähr gleich große Holzscheite nachlegen, keine Konversation, vollste Konzentration! Wir wurden besser und backten uns schließlich in Rage. (Braucht noch jemand Weihnachtsplätzchen? Garantiert konzentriert!)

Zum Glück kam Richard Ende November für eine Woche. Das tat gut und war richtig schön! Man muss sich den Arbeitsaufwand im Winter erheblich erhöht vorstellen: Fütterung der Hirsche, Schneeschippen, 4-5fache Bedarf an gespaltenem Holz, den Fahrweg von umgestürzten Bäumen befreien, Überwachung der verschiedenen Feuerstellen. Und nicht zuletzt Schneeballschlachten mit Simon. Ja, seit es Schnee gab, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass Simon seine Kameraden vermisste, denn seine Schwester findet gar keinen Geschmack daran, mit Schneebällen bombardiert zu werden und ich kann und will mich wirklich nicht jede Pause im Schnee balgen….. jetzt konnte er sich mit Papa austoben. 

Richard brachte mir bei, mit der Kettensäge umzugehen und sorgte dafür, dass sie richtig läuft. Ohne Kettensäge im Auto, braucht man dort im Winter nicht unterwegs zu sein. Die gehört so ins Handgepäck wie andernorts das Handy. Das wurde mir eines Morgens richtig klar: Richard und die Kinder schliefen noch im Zirkuswagen und ich war früh aufgestanden, weil der Kaminfeger um 8:30 Uhr kommen sollte. Dieser Termin war extrem wichtig, weil ich den Zustand der Schornsteine nicht einschätzen konnte und die häufigste Ursache für Hausbrand in den Vogesen Kaminbrände sind. So bekam ich bei jeder Feuerung ein zunehmend mulmiges Gefühl und war sehr erleichtert, als ich einen Kaminfeger fand, der bereit war, im tiefsten Winter diese Arbeit zu machen. Er kam von außerhalb und hatte mich gebeten, ihn unten im Ort abzuholen. Eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit fuhr ich (ohne Kettensäge) los und stellte bei der ersten Wegbiegung fest, dass ich alle Meter anhalten muss, um unter der Schneelast gebrochene Äste wegzuräumen. Zum Glück erwies sich unser Subaru Forester als total zuverlässig und ließ mich auch bei ungeräumten Wegen nicht im Stich. Nach weiteren Metern stoppte mich eine Tanne, die quer über den Weg gefallen war und nun war selbst unser Subärchen am Ende. Da ich nicht wenden konnte und mich nicht traute den verschlungenen Weg rückwärts zu fahren, stapfte ich zu Fuß zurück, weckte Richard. Barfuß und mit Schlafanzug stieg er in Schuhe und Jacke und nach einer halben Stunde schweißtreibendem Fußmarsch und Arbeit mit der Kettensäge, war der Weg endlich frei. Bestimmt war der Schornsteinfeger nicht mehr an der verabredeten Stelle. Doch nach einigen Wegbiegungen sahen wir einen schwarz gekleideten Mann, der sich zu Fuß durch den Schnee kämpfte. „Sie schickt der Himmel!“ hätte ich am liebsten ausgerufen. Hatte sich der tapfere Mann tatsächlich unten im Ort durchgefragt und war dann auf eigene Faust hochgefahren. Da er aber keinen Vierradantrieb hatte, traute er sich nicht mehr weiter und machte sich zu Fuß auf den Weg zu uns!

Die Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit dieser Menschen ist unglaublich toll. Bis jetzt bin ich von Handwerkern noch kein Mal versetzt oder im Stich gelassen worden.

Der sehr dekorative und wunderschöne, aber zum Heizen nur bedingt brauchbare offene Kamin, der vermutlich schon seit 100 Jahren im Wohnzimmer steht (das war früher mal der Stall, das Haus wurde 1719 gebaut!) stellte sich mit abfallenden Temperaturen als Holz-Vernichtungs-Maschine heraus, die ihren Zweck mehr darin erfüllte, dass man ein Feuer brennen sah. Spüren tat man davon nicht viel, denn das Haus blieb insgesamt kühl und hätten wir nicht Heizlüfter gehabt, wäre es nicht wirklich gemütlich geworden. Da wir uns auf die Schnelle für keinen Schwedenofen/Kachelofen/Grundofen/Konvektionsofen/Speicherofen oder sonst einen Ofen entscheiden konnten, entschlossen wir uns im Dezember, den Hauptteil des Winters in Freiburg zu verbringen. Kurz zuvor fiel auch noch das Warmwasser aus, d.h. es kam statt des gewohnten warmen Rinnsals nur ein „Pfffff…“ aus der Leitung.  Nun war meine persönliche Leidensgrenze erreicht. Wir hatten tapfer bei ca. 5° C geschlafen und sind, als es nachts im Haus noch kälter wurde, dann zum Schlafen in den Zirkuswagen umgezogen, da er mit einem Holzofen schön geheizt werden kann, zumindest ist es bis zur Hälfte der Nacht angenehm. Steht man nicht stündlich auf und legt nach, fallen die Temperaturen dramatisch und bis zum Morgen kann es schon mal -2° werden. Im Wagen.

Außerdem gibt es im Zirkuswagen einen entscheidenden Nachteil: jede Nacht statt einer bequemen Toilette, unter den freien Himmel treten zu müssen und bei etwa -10°C (gefühlten -50°) die Hose runter zu lassen…. also nein. Wenn ich dann meine Tochter klappernd und stocksteif gefroren von einem dieser Gänge so ungefähr um 03:00 Uhr zurück ins Bett brachte, lag ich oft noch eine Weile wach und dachte an die armen Gefangenen, die im Krieg nach Sibirien oder sonst wohin verschleppt und im tiefen Winter unter den schlimmsten Umständen erfrieren mussten oder nach und nach ihre Finger und Zehen an den Frost verloren. Entsetzlich. Plötzlich war mir gar nicht mehr kalt und ich fühlte unter meiner dicken Daunendecke nicht mehr den vermeintlichen Mangel, sondern nur noch unsagbaren Luxus, in welchem wir leben.

Anfang Dezember machten wir uns bereit, die nächste Zeit in Deutschland zu sein, als plötzlich etwas passierte: zwei unserer Hirsche buddelten sich unter dem Zaun durch, ausgerechnet der große Hirsch (mit Riesengeweih!) und unser kleiner Fridolin, der im Juli geboren war. Wir sahen sie nicht mehr und als wir mehrere Tage abgewartet und keine Möglichkeit hatten, sie wieder einzufangen, reisten wir recht betrübt nach Freiburg. Einige Tage später telefonierten wir mit unserem französischen Nachbarn und er berichtete, dass der große Hirsch den Weg ins Gehege zurückgefunden habe. Er war einfach vor dem Eingangstor gestanden und war nicht fortgesprungen, selbst als der Nachbar kam und das Tor öffnete. Fridolin aber lief weiter außen am Gehege auf und ab. Ich hatte vor unsrer Wegfahrt zwar das angrenzende Gehege bereits an zwei Stellen aufgeschnitten und Futter ausgestreut, aber er fand die Öffnungen nicht. Wir hatten große Sorgen, denn unter der dicken Schneedecke fand er bestimmt kein Futter, war es auch nicht gewohnt, Futter zu suchen und außerdem ist gerade Jagd. Ganz zu schweigen von den Raubtieren.

Bis kurz vor Weihnachten hielten wir es in Freiburg aus und empfanden dann aber, dass wir die Feiertage auf der Ferme sein möchten. Wir kehrten also 5 Tage vor Weihnachten auf unsere Ferme zurück, sehnsüchtig, hoffnungsvoll und gleichzeitig ängstlich, was unseren Fridolin anbetraf. Der Nachbar hatte ihn gar nicht mehr gesichtet. 

Als wir ankamen und unseren Zufahrtsweg durch den Wald fuhren, stand er plötzlich mitten im Weg im grellen Scheinwerferlicht, unbeweglich. Ich stieg aus und redete ihm zu, er schaute mich an und sprang dann mit einem Satz weg. Wir waren so froh zu sehen, dass er noch lebte! Gleichzeitig fragten wir uns, wie wir ihn jemals wieder zurück in sein Zuhause kriegen würden.

Die nächsten Tage sahen wir ihn nicht mehr, hörten aber manchmal Schüsse. Hanna litt besonders stark und lief stundenlang laut weinend und rufend durch den Wald und kam immer wieder, um getröstet zu werden. „Mama, was sollen wir tun? Ich bete SO VIEL! Und gar nichts passiert! Manchmal denke ich, Gott gibt es gar nicht. Warum macht er das so? Und warum hört er nicht? Die Tiere konnte er doch in die Arche rufen, dann kann er auch Fridolin wieder zurückrufen! Aber er MACHT es nicht! Ich höre Gott nicht und ich sehe ihn auch nicht. “ Das war hart. Da wurde ihr kindlicher Glaube auf eine echte Probe gestellt. Schließlich konnte ich ihr einen Gedanken begreiflich machen: die Tatsache, dass Fridolin noch nicht zurück war, hatte nicht zwangsläufig etwas mit der Existenz Gottes zu tun. Wir sprachen über den Bibeltext aus Hebräer 11,1: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht dessen, auf was man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.“ Was wäre das wert, wenn wir nur deshalb an Gott glauben würden, weil er unsere Gebete immer gleich beantwortet und zwar genau so, wie wir es möchten? Wäre das dann ein Gott, der weiser und viel mächtiger ist, als wir? Oder nur jemand, der unsere Wünsche erfüllt, heute diesen und morgen jenen?

Jeden Abend stellten wir für Fridolin ein Futterschälchen mit abgezählten Karotten und Äpfeln vor den Eingang des Tiergeheges. Wenn der große Hirsch den Eingang gefunden hatte, würde Fridolin ihn vielleicht auch finden, so hofften wir. Aber morgens fanden wir noch alles so vor, nichts fehlte. Bis zum Abend vor Heiligabend. Hanna hatte an diesem Tag eine ziemliche Krise gehabt und ich hatte intensiv um ein  Zeichen von Gott gebetet. 

Richard öffnete, einem plötzlichen Impuls folgend (Gottes unhörbarem Ruf?) spät abends die Haustür und blickte zum Tor des Tiergeheges. Da stand Fridolin und fraß unsere Futterspuren! Aufhorchend drehte er sich um. Richard schloss schnell die Haustür, rief mich und wir überlegten fieberhaft, was zu tun sei. So nah dran! Das war das erste Mal! Wenn man versuchen würde, sich dem Tor zu nähern, um es für ihn zu öffnen, würde er mit Sicherheit wegspringen. So wollte ich versuchen, unbemerkt aus der hinteren Haustür in den Wald zu schleichen, und außen rum, durch das andere, aufgeschnittene Gehege, in das Hauptgehege zu gelangen und das Tor von innen zu öffnen, um ihn rein zu lassen. Ich schlich los, in tiefster Dunkelheit, mit Taschenlampe bewaffnet und machte einen großen Bogen. Als ich aber am Tor anlangte, war er schon fort. Diese Tiere wittern alles, was in einem Umkreis von Hunderten von Metern um sie herum passiert. Der Fluchtinstinkt ist dabei so stark, dass er alle Hungergefühle und auch den Trieb zur Herde zurück zu finden, überlagert. Ein knackender Ast genügt, um sie in Panik zu versetzen.

Ich spürte, dass er wiederkommen würde. Am nächsten Abend war Heilig Abend, wir erwarteten Besuch, sie würden alle im Zirkuswagen schlafen, der mitten im Tiergehege steht. Das würde bedeuten, dass es im Gehege unruhiger zugehen würde als sonst, die Lichterkette erstrahlte bereits am Zirkuswagen, würde das alles abschreckend auf Fridolin wirken, sodass er sich nicht traute wiederzukommen? Ich wollte trotzdem versuchen, die Bedingungen so zu schaffen, dass er den Weg IN das Gehege finden würde. Dazu mussten wir ein Risiko eingehen und die anderen Hirsche auf das angrenzende Gehege (die „Wiese“) sperren. Mit etwas Bauchschmerzen taten wir es, denn genau von diesem Gehege sind sie schon 2x entflohen. („Entflohen“ klingt irreführend. Die Tiere sind in diesem Gehege geboren, es ist ihr Zuhause, die große Freiheit außerhalb ängstigt sie zutiefst und sie versuchen von sich aus, wieder zurück zu kommen, wenn sie entlaufen sind. Das Entlaufen geschieht immer nur im Zusammenhang mit Panik. Dazu später mehr)

Wir sicherten noch einmal die „Wiese“ und als alle Hirsche unten waren, öffneten wir das Tor des Hauptgeheges weit. Das Futterschälchen stellte ich innen vor das geöffnete Tor und füllte den Trog, der etwas weiter weg stand, mit Frischfutter. Es schneite und wurde dunkel. Wir gingen ins Haus, denn Heilig Abend begann. Gemeinsam mit unseren Gästen (mein Bruder Harri, mit Freundin und ihren Kindern) sangen und lasen wir, beschenkten uns und beteten. Gegen 21 Uhr ging Richard vor die Tür. Er kam zurück und verlangte eine Taschenlampe. Ich traute mich nicht zu fragen. Nach etwa 10 Min. steckte er den Kopf zur Tür und sagte sichtbar bewegt: „Es ist ein Wunder geschehen! Fridolin ist im Gehege!“

Es hatte heftig geschneit, die Oberfläche war eine weiße glatte Decke. Aber eine einzelne Spur führte von außen durch das offene Tor. Das Futterschälchen war leer, die Spur führte zum Futtertrog und da sah Richard den kleinen Ausreißer stehen und gierig fressen. Mir kamen Tränen der Erleichterung und Dankbarkeit. „Mama!“ rief Hanna, „Gott wollte uns ein Geschenk machen! Er hat nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet!“

Fridolin hatte heftig abgenommen und ist seitdem ziemlich gefräßig. Er läuft uns sogar nach, wenn wir im Gehege sind. Die drei Wochen außerhalb seiner gewohnten Umgebung haben ihn wohl ihn anhänglicher gemacht. Wir danken Gott für dieses wunderbare Erlebnis. 
Anfang Januar verbrachten wir drei schöne, sonnige Tage mit Freunden auf der Ferme und entdeckten neue, unbekannte Spuren im Schnee. Rund um den See und sogar auf die Terrasse führten große Tatzenspuren. Dieselben fanden wir auch im Wald, gemeinsam mit Fuchs,- Reh-, Wildschwein-, und Wolfs(?)spuren. Es wurden aufregende Tage, denn wir durchkämmten die Bücher und alle Wege nach weiteren Informationen. Was wir herausfanden, war schließlich, dass es sich bei den Spuren, die wir so nah am Haus gefunden hatten, um Luchsspuren handeln konnte, denn sie stimmten mit den Abbildungen in den Büchern überein. Wir lasen, dass der Luchs sich durchaus in menschlicher Nähe wohl fühlt und seine Lager gerne in unmittelbarer Nähe von Häusern oder viel begangenen Wanderwegen wählt. Trotzdem gelingt es dem Menschen kaum je einmal, den Luchs zu Gesicht zu bekommen. Wir sind gespannt, ob wir „unseren“ Luchs mal sehen werden, auf jeden Fall sind wir aber äußerst abenteuerlustig und die Kinder haben schon diverse „Fallen“ gebaut, um den Luchs wenigstens mal kurz „festzuhalten“. Die habe ich denn aber vor unserer Abreise wieder abbauen lassen, das geht ja nicht, dass irgendein armes Füchslein oder Wiesel mit einer Falle am Bein durch die Gegend laufen muss! 

Kann es sein, dass der Luchs unsere Hirsche in Panik versetzt hat? Unser Elektrozaun funktioniert z.Zt. nicht, obwohl ich mit der tatkräftigen und eifrigen Hilfe von Leah und Rahel einen halben Tag daran rumgebastelt habe (ihr wart toll, ihr Beiden, vielen Dank!!!) d.h. es könnte sich theoretisch jedes Raubtier unter dem Zaun ins Gehege schleichen. Ein ungutes Gefühl. Der Vorbesitzer berichtete uns, wie er einmal, nur ein einziges Mal einen Wolf in der Nähe des Geheges gesehen habe. Da ist es ein doppeltes Wunder, dass Fridolin unversehrt wieder bei seiner Herde ist.

Simon hat in diesen Tagen mit seinem Freund Samuel begonnen, ein Baumhaus zu bauen, in schwindelnder Höhe. Da wurde mir anders. Und ausgerechnet diese Tanne wollten wir eigentlich im Frühjahr fällen. Nun wurde sie von Baumhäuslern besetzt, die sich durchaus nicht räumen lassen wollen.

Zum schulischen Lernen gibt es nicht viel Neues zu berichten, außer, dass wir festgestellt haben, dass es sich in Frankreich leichter lernt und dass die Lernumgebung besser vorbereitet ist als in Freiburg, irgendwie ermöglicht die einfache Ausstattung dort eher ablenkungsfreies und konzentriertes Lernen. Die schulischen Leistungen sind insgesamt sehr gut und der Lerneifer ungebremst. Was das Begreifen und Lernen angeht, hätten wir keine bessere Entscheidung treffen können, das wird mir jedes Mal klar, wenn sie mit erwartungsvollen, leuchtenden Augen ihre korrigierten Arbeiten im Briefumschlag zurückbekommen und öffnen. Es ist immer wie ein Überraschungspaket. Ich kann mich nicht erinnern, mich in meiner Schulzeit je über Korrekturen und Zensuren so gefreut zu haben. Das Lernen geht in die Tiefe und ich kann sicher sein, dass sie den Stoff verstanden haben. Wenn etwas nicht klar ist, bemerkt man das an ihrer Reaktion sofort und sei es nur ein nachdenklicher Blick. Ja, ja,…. die berühmten Lücken, die in der Klausur zu Tücken werden,…. ich war ein Experte auf diesem Gebiet. Ich genieße es, durch die Heimschule noch eine Chance bekommen zu haben und jetzt alles noch mal lernen zu dürfen, hahaha! 😉

Ach ja, Fragen, die immer wieder gestellt werden, kann ich an dieser Stelle auch mal beantworten: 

1) Wann machen wir Ferien? 

Wir nehmen uns die Ferien so, wie wir sie brauchen und orientieren uns dabei nur bedingt an den Bad-Württ. Ferien. Simon und Hanna sollen ihre alten Schulfreunde sehen und treffen können (das geht nun mal am besten in den Ferien), und andererseits wollen wir auch die Möglichkeiten nutzen, außerhalb der Hochsaisons Urlaub zu machen. Es macht einfach Spaß auf einer leeren Skipiste und ohne Anstehen am Lift, dazu noch zum halben Preis….. JSo kommt es aber, dass wir mehr Ferien haben, insgesamt haben wir seit den Sommerferien 3Wochen weniger Schule gehabt, als die Schulkinder

2) Habt ihr eine feste Tagesstruktur?

Jain. Theoretisch ja (9:00 – 13:00 Schule, Mittagessen, Hausarbeit, Musik machen, Freizeit, keine Hausaufgaben) aber oft halten wir uns nicht genau daran, fangen aus irgendwelchen Gründen später/früher an und lernen länger (weil’s Spaß macht) Ich beobachte, dass Kinder gerne in etwas verweilen und nicht „getaktet“ leben und lernen wollen. 30 Min. Deutsch, 30 Min. Mathe, 30 Min…. das ist irgendwie nix, sondern solange sie Lust haben. Meistens ist das viel länger.

Ich lerne es, flexibler zu sein und die Gelegenheiten zu ergreifen, die sich bieten. Z.B. es kann passieren, dass ich irgendetwas vorhabe oder wir wegfahren sollen oder sonst was, da sitzt aber Simon noch am Klavier und spielt, versunken. Ich merke, das ist ein besonderer Moment, den gilt es zu respektieren, wenn ich ihn da rausreiße, kann es Tage dauern, bis er wieder zurückfindet. Wenn es geht, warte ich dann ab, bis er von selber aufhört oder bis zumindest dieser besondere flow vorbei ist. Geht nicht immer, klar. Aber ich lerne loszulassen, von meiner Zielorientiertheit.

Gott mit Euch! Wir freuen uns auf ein Wiedersehen,

Eva